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Claus Sauter, Gründer und Vorstandsvorsitzender, Verbio Vereinigte Bioenergie AG.
Das deutsche Unternehmen Verbio, kurz für Vereinigte BioEnergie AG, ist mit seinen rund 550 Mitarbeitenden einer der führenden Hersteller und Anbieter von Biotreibstoffen in Europa. Bereits 2001 hatte Verbio begonnen, Biodiesel zu produzieren. Vier Jahr später ergänzten die Deutschen ihr Portfolio an nachhaltigen Treibstoffen um Bioethanol und seit 2010 auch um Biomethan. Verbio-CEO Claus Sauter ist überzeugt, dass Biotreibstoffe einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten können und so den Verkehrssektor langfristig von fossilen Treibstoffen unabhängig machen.
Herr Sauter, Sie machen sich grosse Sorgen um die Weltwirtschaft und den Wirtschaftsstandort Deutschland und warnten schon im April vor einer beispielslosen Pleitewelle. Immer noch so pessimistisch?
Claus Sauter, Gründer und Vorstandsvorsitzender, Verbio Vereinigte Bioenergie AG: Pessimistisch ist nicht das richtige Wort. Ich bin im Grunde Optimist und ich sehe in der aktuellen Krise auch viele neue Ansatzpunkte, die uns als Unternehmen durchaus weiterbringen und die uns auch als Deutschland, als Wirtschaftsstandort, als Europa weiterbringen können, wenn wir aus der aktuellen Situation die richtigen Lehren ziehen. Aber ich bin auch Unternehmer und ich kann aus meiner Perspektive und Erfahrung heraus sehr gut einschätzen, was gewisse wirtschaftliche Einschränkungen und Stillstände für Folgen haben und wie lange es dauern kann, bis sich ein Unternehmen aus eigener Kraft davon erholt. Wenn es sich überhaupt erholt. Insofern halte ich meine Einschätzung eher für realistisch als pessimistisch.
Wie wird Verbio diese Krise meistern?
Um die Zukunft von Verbio mache ich mir mit Blick auf die Krise keine Sorgen. Wir sind krisenerprobt. Wir haben in einem ständigen Auf und Ab politischer Entscheidungen und diverser Marktverwerfungen im Biotreibstoffmarkt in den letzten Jahren gelernt, flexibel und schnell zu reagieren, um zu überleben bzw. den negativen Effekt durch Innovation, Geschwindigkeit, Risikobereitschaft und Teamgeist teilweise sogar ins Gegenteil zu kehren und gestärkt aus einer Krise herauszugehen, während andere Unternehmen der Branche längst aufgeben mussten. Insofern haben wir auch dieses Mal schnell reagiert und unsere Bioethanolproduktion um die Herstellung von Desinfektionsmittel erweitert.
«Der Politik fehlt schlichtweg der Mut und möglicherweise auch die Kompetenz, um ausreichend ambitionierte Klimaziele zu definieren und klare, zielführende, technologieoffene Rahmenbedingungen dafür festzulegen.»
Werden Sie auch nach der Corona-Krise weiter Desinfektionsmittel produzieren oder fokussieren Sie wieder auf Biotreibstoffe?
Die Umstellung von Technologie und Logistik der Treibstoffproduktion auf die Herstellung von Desinfektionsmittel war ein grosser Aufwand und grosse Leistung unseres Teams. Natürlich werden wir uns wieder auf die Biotreibstoffproduktion fokussieren, wenn die Nachfrage danach durch die Wiederbelebung der Mobilität wieder steigt. Das ist schliesslich unser Kerngeschäft. Aber nachdem wir uns nun so gut und intensiv in die Produktion von Desinfektionsmittel eingearbeitet haben, halte ich es durchaus für sinnvoll zu prüfen, ob wir dieses Segment nicht auch zukünftig weiter bedienen können. Der Bedarf an Desinfektionsmittel wird zukünftig grösser sein als in der Vergangenheit. Wir setzen bei der Wachstumsstrategie für Verbio auch auf Diversifikation und zunehmende Unabhängigkeit vom Biotreibstoffmarkt und da bieten Desinfektionsmittel auf jeden Fall einen potenziellen Ansatz.
Nur vier Grossballen Stroh reichen, damit Verbio den Jahrestreibstoffbedarf für einen Mittelklasse-Personenwagen herstellen kann.
Seit 1995 forschen Sie an Biotreibstoffen und seit 2005 produzieren Sie Bioethanol, wieso gelingt dem CO2-neutralem Treibstoff der Durchbuch bislang nicht?
Diese Aussage trifft nicht nur auf Bioethanol zu, sondern auf Biotreibstoffe generell. Hier in Deutschland und Europa. Die Begründung liegt ganz klar in einer inkonsequenten politischen Haltung gegenüber Klimazielen an sich und Biotreibstoffen im Besonderen. Der Politik fehlt schlichtweg der Mut und möglicherweise auch die Kompetenz, um ausreichend ambitionierte Klimaziele zu definieren und klare, zielführende, technologieoffene Rahmenbedingungen dafür festzulegen. Und zwar langfristig festzulegen. Ich habe dafür ein konkretes Beispiel: Wir haben in Deutschland eine so genannte Treibhausgasreduktionsquote, die festlegt, wie viel CO2 jährlich im Treibstoffbereich zu sparen ist. Diese liegt seit Jahresanfang bei 6 Prozent, davor war sie nur bei 4 Prozent. Mit den in Deutschland verfügbaren Möglichkeiten und Rohstoffen könnten wir aber mit nachhaltigen Biotreibstoffen nahezu 10 Prozent Treibhausgasreduktionsquote locker erreichen. Die Zielsetzung bleibt also hinter den Möglichkeiten zurück und damit fehlen Anreize für Investition und Forschung, aber auch für eine Bewusstseinsänderung bei Tankstellenbetreibern, Automobilherstellern und Verbrauchern.
Selbst der Volkswagen-Konzern will künftig voll auf E-Mobilität setzen. Haben Sie keine Angst, dass Ihnen der Kundenstamm für Ihre Treibstoffe über kurz oder lang wegbrechen?
Nein, ich habe keine Angst. Ich halte die «Alles auf E»-Strategie für einseitig und kurzsichtig. Es gibt Bereiche, in denen Elektromobilität Sinn macht und sich auch etablieren wird. Aber es gibt eben zum Beispiel auch noch den Güterfernverkehr. Dort wird es in absehbarer Zeit keine bezahlbare und praktikable Elektro-Lösung geben. Und dort setzen wir an – mit Biodiesel genauso wie mit Biomethan. Dort ist der Hebel, um eine CO2-Reduktion zu erreichen und dieses Potenzial sollten wir endlich nutzen. 200’000 LKW mit Biomethan bringen dieselbe CO2-Einsparung im Verkehr wie 7’000’000 Mittelklasse-Personenwagen.
«Die E-Hysterie zwingt die Automobilindustrie dazu, auf nur eine Technologie zu setzen. Damit wird auch dort das Potenzial schon verfügbarer Technologien, wie zum Beispiel CNG oder auch Biodiesel, verspielt und das bremst uns alle bei der Erreichung der Klimaziele aus.»
Welches Potenzial bieten Biotreibstoffe aus Stroh?
Ich spreche in diesem Zusammenhang nur für Biomethan aus Stroh – die Technologie, die wir selbst entwickelt haben und grosstechnisch umsetzen. Biomethan aus Stroh kann gleichermassen im PKW, LKW und öffentlichen Personennahverkehr eingesetzt werden. Damit werden mindestens 90 Prozent CO2-Einsparung gegenüber Benzin und Diesel erreicht, gleichzeitig geht der Stickoxid-Ausstoss gegen Null. Und zwar ohne teure Abgasnachbehandlung. Unsere Technologie ermöglicht die Herstellung des Jahrestreibstoffbedarfs eines Mittelklasse-PKW aus nur vier Grossballen Stroh. Das ist super effizient. Auf Basis des allein in Deutschland verfügbaren ungenutzten Strohs könnten wir so zukünftig mindestens 7 Millionen Personenwagen beziehungsweise 200’000 LKW – das sind übrigens alle in Deutschland zugelassenen 40-Tonner – auf eine nahezu CO2-neutrale Mobilität umstellen. Und nicht erst 2030, sondern weitaus früher, wenn die Politik es will und die richtigen Weichen dafür stellt. Das ist aus meiner Sicht ein grosses und ernst zu nehmendes Klimaschutzpotenzial. Der Bundesverkehrsminister hat dafür die richtigen Ansätze gefunden.
Wieso ist es falsch, nur auf den Elektroantrieb zu setzen und weshalb benötigt es bei den CO2-Emissionen eine technologieneutrale Betrachtung?
Zum einen ist Elektro noch nicht in allen Bereichen verfügbar. Ich erwähnte schon den Güterfernverkehr. Zum anderen benötigen wir für den Aufbau der Ladeinfrastruktur noch mehrere Jahre. Des Weiteren ist Elektromobilität nur dann klimaneutral, wenn wir ausreichend Öko-Strom zur Betankung bereitstellen können. Auch das ist nicht von heute auf morgen umsetzbar. Wir können aber nicht weitere 10 Jahre verschenken, bevor wir die Verkehrswende endlich schaffen. Wir haben schon 30 Jahre verschenkt in Deutschland, in denen sich der CO2-Ausstoss im Verkehr kein bisschen verändert hat. Wir sollten alle verfügbaren und bezahlbaren Lösungen in Kombination nutzen. Wenn wir das CO2-Reduktionsziel schneller erreichen können, ist doch jede Technologie dafür sinnvoll. Sie muss nachhaltig, schnell verfügbar, effizient und vor allem bezahlbar sein und keinen bestimmen Namen tragen.
Verbio, kurz für Vereinigte BioEnergie AG, ist mit seinen rund 550 Mitarbeitenden einer der führenden Hersteller und Anbieter von Biotreibstoffen in Europa.
Der Autoindustrie drohen massive Bussen, weil man die CO2-Ziele der EU nicht erreichen wird. Was halten Sie von einer Verschiebung oder Lockerung der CO2-Ziele?
Gar nichts! Denn wenn die Zielvorgaben stets aufgeweicht werden, wird es auch keine Investitionen und Innovationen geben. Wir brauchen nicht nur nachhaltige Biotreibstoffe, sondern auch nachhaltige und verlässliche Politik. Wir treten seit Jahrzehnten auf der Stelle, zerstören vorsätzlich unsere Umwelt und letztlich auch unsere Gesundheit. Die deutsche Industrie ist innovationsfähig und leistungsfähig genug, um die Herausforderung anzunehmen. Die Politik muss sich eben nur aus dem WIE heraushalten und dafür das WAS und WANN definieren, dann regelt der Markt viele Dinge von selbst. Die E-Hysterie zwingt die Automobilindustrie dazu, auf nur eine Technologie zu setzen. Damit wird auch dort das Potenzial schon verfügbarer Technologien, wie zum Beispiel CNG oder auch Biodiesel, verspielt und das bremst uns alle bei der Erreichung der Klimaziele aus. Der Druck muss aufrechterhalten bleiben, sonst wird gar nichts passieren!
Reicht der Preis von 25 Euro/Tonne CO2 – der 2019 in Madrid beschlossen wurde -, um eine Veränderung beim Fahrverhalten der Autofahrer herbeizuführen.
Das reicht auf keinen Fall. Wir sprechen letztlich über 7 bis 8 Cent mehr pro Liter Sprit. Bei den aktuellen Preisschwankungen an der Tankstelle bekommt das der Autofahrer doch im besten Fall gar nicht mit. Es zwingt ihn keineswegs zur Verhaltensänderung. Aber ich sehe den Hebel auch nicht beim privaten Autofahrer, sondern beim Güterverkehr, beim öffentlichen Personennahverkehr und bei der Industrie. Dort wird viel rationaler und langfristiger entschieden. Dort kann man viel einfacher etwas bewegen. Deshalb betrachte ich die Verlängerung der Mautbefreiung für emissionsarme LKW, wie vom Bundesverkehrsminister vorgeschlagen, als eine viel effizientere und zielführendere Massnahme.
«200’000 LKW mit Biomethan bringen dieselbe CO2-Einsparung im Verkehr wie 7’000’000 Mittelklasse-Personenwagen.»
Wie soll die Bundesregierung den Kampf gegen den Klimawandel Ihrer Meinung nach angehen?
Ehrgeizige langfristige Ziele mit konkreten jährlichen Zwischenzielen definieren, die wichtigsten Spielregeln festlegen und die Industrie dann einfach machen lassen. Im Moment ist aus meiner Sicht im Verkehrsbereich ausserdem ganz konkret wichtig: den CNG-Antrieb und Biomethan als Treibstoff anzuerkennen und mit Elektromobilität gleichzustellen sowie die Mautbefreiung für emissionsarme LKW verlängern, die Treibhausgasreduktions-Quote in Deutschland auf mindestens 10 Prozent erhöhen und eine Anrechnung des Biotreibstoffanteils bei der Flottengrenzwertberechnung einräumen.
Was macht Sie optimistisch, dass die Zeit von Biotreibstoffen noch kommt?
Die Zeit von Biotreibstoffen ist schon da. Sie sind systemrelevant – nicht nur für den Klimaschutz, sondern auch für die Wertschöpfung in der regionalen Landwirtschaft. Die Tank-oder-Teller-Diskussion ist leiser geworden, aber trotzdem haben immer noch viele Menschen und auch Politiker ein falsches Bild davon, welche landwirtschaftliche Überproduktion wir insgesamt in Deutschland und Europa haben. Wenn die Mengen an Rapsöl und Getreide, die wir nicht als Nahrungsmittel benötigen, nicht durch unsere Anlagen laufen würden, dann hätten wir bereits wieder grossflächige Flächenstilllegungen, um die Marktpreise zu stabilisieren und den Bauern ein gewisses Einkommen zu sichern. Was vielen auch nicht klar ist: Wenn wir zum Beispiel einfach weniger Raps anbauen und weniger Rapsöl in der Biotreibstoffindustrie verarbeiten, dann entsteht aus den Resten der ausgepressten Ölpflanze auch viel weniger eiweissreiches Futtermittel, womit wir die einheimische Tierproduktion unterstützen. Und abschliessend nochmal auf den Punkt gebracht: Wir haben in Deutschland aktuell gerade einmal 40 Prozent CO2-neutralen Öko-Stromanteil, aber wir erreichen mit konventionellen und fortschrittlichen Biotreibstoffen heute bereits mindestens 70 bis über 90 Prozent CO2-Reduktion und das nicht nur im Personenwagen, sondern auch im LKW. Wir brauchen Biotreibstoffe, wenn wir die Verkehrswende wirklich ernst meinen – jetzt und in Zukunft. (jas, 5. Mai 2020)
Der Strohkreislauf von Verbio.