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«Wir haben kein Energie-, sondern ein CO2-Problem»

Die zunehmende Sensibilisierung für Umweltthemen verhilft alternativen Antrieben zum Durchbruch. Für den renommierten Fahrzeugantriebsforscher Christian Bach stehen dabei neben der Elektro- und Wasserstoffmobilität auch Gasfahrzeuge, die mit Compressed Natural Gas (CNG) betrieben werden, im Vordergrund. Aus seiner Sicht wird das Potenzial von CNG unterschätzt.

 

Herr Bach, was ist heute die grössere Herausforderung: Energie oder Klima?

Christian Bach: Eindeutig das Klimaproblem. Wir haben kein Energie, sondern allenfalls ein «Energieträgerproblem». Erneuerbare Energie in Form von Sonnenstrahlen, Wind und Biomasse kann noch nicht ausreichend in eine nutzbare Form gebracht werden. Das ist aber nur eine Frage der Zeit. Das akute und dringende Problem haben wir mit den CO2-Emissionen. Dieses ist verbunden mit der Energie. Wir lösen dieses Problem nur, wenn wir auf erneuerbare Energien umstellen.

Wir erleben aktuell ein heftiges Revival der Umweltdiskussion. Schüler skandieren «Make Love not CO2» und das EU-Parlament hat zusätzliche Verschärfungen zur Reduktion des Treibhausgases beschlossen. Was passiert aus Ihrer Sicht gerade?

Die Thematik ist offensichtlich in einer breiteren Bevölkerungsschicht angekommen. Ich finde das sehr positiv. Dies auch deshalb, weil der Fahrzeugmarkt nicht primär auf technologische Potentiale oder Entwicklungen reagiert, sondern viel stärker auf das Konsumentenverhalten. Wir haben oft Besprechungen mit Flottenbetreibern, die sehr ambitionierte CO2-Ziele einführen wollen – nicht zuletzt auch aufgrund der zunehmenden öffentlichen Klimadiskussion.

Also erhöht sich der Nachfragedruck nach alternativen Antrieben auf eine natürliche Art…

Richtig – ich glaube, das ist nachhaltiger als gesetzliche Vorgaben. Hersteller orientieren sich schon auch an gesetzlichen Massnahmen, allerdings werden beispielsweise Fördermassnahmen auch als Risiken eingestuft, da diese beim Auslaufen zu einem Einbruch des Marktinteresses führen können.

«Fahrzeuge, die mit erneuerbarer Energie betrieben werden, sind vergleichbar sauber.»

Als einzige Alternative zu Benzin und Diesel gilt in vielen Medien primär die Elektromobilität. CNG wird in diesem Rahmen praktisch nie erwähnt, auch nicht seitens der Behörden. Warum ist das aus Ihrer Sicht so?

Die heutige Gesetzgebung berücksichtigt die unbestrittenen Vorteile von CNG- bzw. der Biogasmobilität nicht oder nur zu einem geringen Ausmass. Deshalb sind sie für viele nicht sichtbar. Hätten wir eine technologieneutrale CO2-Gesetzgebung für Fahrzeuge, würden die ökologischen Vorteile von CNG viel klarer auf der Hand liegen. Das fehlt heute tatsächlich.

Wie kommt es, dass die Schweiz keine technologieneutrale Gesetzgebung hat?

Die Schweiz hat keine eigene Gesetzgebung für die Fahrzeugzulassung, sondern übernimmt die europäische Gesetzgebung, was ich richtig finde. Nun, die Einführung einer technologieneutralen Gesetzgebung ist schon deutlich komplexer als das heutige System. Dies würde bedeuten, dass alle relevanten Einflussfaktoren berücksichtigt würden, also von den CO2-Emissionen der Fahrzeugherstellung und Energiebereitstellung über den Betrieb der Fahrzeuge bis hin zu deren Entsorgung. Aber nur weil es etwas komplexer ist, sollte man etwas Sinnvolles nicht aussen vor lassen.

Sind diese Informationen nicht heute schon alle vorhanden?

Grundsätzlich schon. Sie sind aber noch nicht regulatorisch geregelt. Das wird sich aber ändern. Bis 2023 muss eine EU-Kommission einen Vorschlag erarbeiten, der die CO2-Emissionen nicht mehr nur aufgrund der Auspuffemissionen bewertet, sondern aufgrund einer Ökobilanz.

Der folgende Satz stammt von Ihnen: «Bezüglich CO2 ist nicht das Antriebskonzept entscheidend, sondern die genutzte Energie.» Kann man das auch als Hinweis auf CNG beziehungsweise Biogas betrachten?

Das kann man, die Aussage gilt aber für alle Antriebskonzepte. Betrachtet man die Ökobilanz von Fahrzeugen, die mit fossiler Energie betrieben werden, sind sie alle vergleichbar schmutzig. Fahrzeuge, die mit erneuerbarer Energie betrieben werden, sind vergleichbar sauber. Deshalb ist der Umstieg von fossiler auf erneuerbare Energie das zentrale Element der CO2-Reduktion.

Selbst wenn man von der optimistischen Annahme ausgeht, dass bis ins Jahr 2030 rund 30 Prozent der Neuzulassungen elektrisch angetrieben werden – rein elektrisch oder als Plug-in Hybride – so sind selbst dann noch 95 Prozent aller Fahrzeuge mit einem Verbrennungsmotor unterwegs. Auch das ist für CNG eine gute Perspektive?

Elektrische Antriebe sind insbesondere in Kurzstrecken-, Pendler-, Stadt- und als Zweitfahrzeuge sehr sinnvoll; für Langstrecken- und Lastanwendungen sind beispielsweise Biogasfahrzeuge ökologisch klar im Vorteil. In beiden Fällen ist die Infrastruktur der limitierende Faktor: Einfamilienhausbesitzer können vergleichsweise einfach auf Elektrofahrzeuge umsteigen. Bei Personen, die in einer Siedlung wohnen und ihr Fahrzeug in einer Tiefgarage parken, ist das schon schwieriger, und bei Autobesitzer ohne festen Abstellplatz, praktisch unmöglich. Bei Gasfahrzeugen braucht man eine CNG-Tankstelle in der Umgebung.

Ein grosses, jedoch noch längst nicht ausgeschöpftes Potenzial besteht beim öffentlichen Verkehr. Warum?

Ein Problem ist, dass für öffentliche Busse keine Mineralölsteuer bezahlt werden muss und der Umstieg auf erneuerbare Energie wirtschaftlich deshalb schwieriger ist, als im privaten Bereich. Es gab in der Vergangenheit verschiedene Busbetriebe, die auf CNG-Busse umgestiegen sind. Diese waren aber nicht immer erfolgreich. Das hatte damit zu tun, dass die CNG-Technologie im Bus- und LKW-Bereich bisher deutlich der Dieseltechnologie hinterher hinkte. Das ändert sich jetzt aber bei den Euro 6-Nutzfahrzeugen, die deutlich bessere Werte aufweisen. Im Busbereich gilt das gleiche wie bei den Personenwagen: im städtischen Einsatz sind Elektrobusse sinnvoll, in den Regionen könnten CNG-Busse künftig eine stärkere Rolle spielen.

Vor einem Jahr haben Sie gesagt, dass CNG zum neuen Diesel werden kann. Stehen Sie noch zu dieser Aussage?

Ja, dazu stehe ich noch immer. Man sieht das in verschiedenen Märkten, wo CNG-Antriebe ein hohes Wachstum aufweisen. In der Schweiz scheint es noch nicht gelungen zu sein, die Interessen aller Marktteilnehmer, von den Kunden über die Tankstellenbetreiber bis hin zum Fahrzeugverkauf, so zu verbinden, dass die Absatzzahlen signifikant zunehmen. Hier besteht ein Defizit. Dass es auch anders geht, haben wir im vergangenen Jahr in Deutschland gesehen: Obwohl durch die Umstellung auf das neue Testverfahren WLTP und die damit verbundenen Lieferengpässe gegen Ende Jahr keine CNG-Fahrzeuge mehr verkauft wurden, konnte der Anteil an Gasfahrzeugen bei den Jahresverkäufen innerhalb kurzer Zeit verdreifacht werden. Und das nur, weil einzelne Hersteller etwas engagierter Werbung für CNG-Fahrzeuge gemacht haben. Ich bin überzeugt: Sobald eine breitere Allianz für CNG aufgebaut wird, gibt es keinen Grund, weshalb CNG-Fahrzeuge nicht im grösseren Stil verkauft werden können. Eine zentrale Rolle dabei wird der Biogasanteil spielen. Gasfahrzeuge werden bei Firmen, die CO2–Emissionen reduzieren wollen, automatisch auf den Radar kommen.

Sie selbst fahren auch ein Gasfahrzeug. Warum?

Ich bin von dieser Technologie überzeugt. Zudem können wir damit auch unseren Wohnwagen ziehen. Ich möchte nachhaltig unterwegs sein und tanke deshalb praktisch ausschliesslich 100% Biogas. Insgesamt ist diese Art der Mobilität kaum teurer als die Benzinmobilität, aber sehr viel klimafreundlicher.

Wie gross schätzen Sie den Marktanteil von CNG-Fahrzeugen in fünf Jahren ein?

Bis 2021 werden die Hersteller noch wenig Druck verspüren. Ab 2022 rechnen wir mit einer starken Elektro- und Hybridisierungswelle und in diesem Kontext kann ich mir vorstellen, dass auch CNG-Fahrzeuge stärker in den Fokus kommen. Richtig interessant werden CNG-Fahrzeuge, wenn die CO2-Gesetzgebung von der Auspuff- auf eine Ökobilanzbewertung umgestellt wird. Bei solchen Betrachtungen schneiden Gasfahrzeuge sehr gut ab.

«Gasfahrzeuge werden bei Firmen, die CO2–Emissionen reduzieren wollen, automatisch auf den Radar kommen.»

Können Sie konkrete Zahlen nennen?

Das ist sehr schwierig. Ich glaube, dass sich die CNG-Technologie in ausgewählten Segmenten entwickeln wird. Dabei denke ich vor allem an Mehrzweckfahrzeuge, Lieferwagen, Nutzfahrzeuge und PW-Flotten, weil Flottenmanager härter rechnen als private Autobesitzer. Aber wenn Sie auf einer Zahl bestehen: Sobald die tieferen CO2-Grenzwerte spätestens ab 2023 richtig greifen, kann ich mir gut vorstellen, dass der CNG-Anteil bis 2030 auf zehn bis fünfzehn Prozent der Neuzulassungen ansteigt, was dann jährlich 30’000 bis 40’000 Neuzulassungen entsprechen würde.

Als Medienkonsument hat man den Eindruck, dass sich die Wissenschaft in Bezug auf die Entwicklung der alternativen Antriebe nicht wirklich einig ist…

Dieser Eindruck stimmt nicht. Innerhalb der wissenschaftlichen Community – so zum Beispiel innerhalb des Schweizerischen Kompetenzzentrums für Energieforschung im Bereich der Mobilität – ist es unbestritten, dass es eine Diversifizierung der Antriebstechnologien braucht und dass CNG ökologisch in einer guten Position steht; insbesondere im besonders relevanten Bereich der Langstrecken-Mobilität. Es ist aber auch klar, dass die CNG-Mobilität primär mit erneuerbarem Gas betrieben werden muss. Biogas alleine wird aber mengenmässig nicht reichen. Wir brauchen deshalb auch aus temporär überschüssiger, erneuerbaren Elektrizität hergestelltes «synthetisches Methan». An der Empa arbeiten wir an dieser Technologie.

Wäre die E-Mobilität überhaupt in der Lage, das CO2-Problem im Alleingang zu lösen?

Nein – allerdings auch keine andere einzelne Technologie. Die grosse Herausforderung in diesem Zusammenhang sind nicht die Neuwagen, sondern der Bestand an Fahrzeugen. Das Ziel des Klimaabkommens von Paris umfasst die absolute Menge an Emissionen. Die Problematik lässt sich anhand eines Marktpenetrationsmodells aufzeigen: 2030 werden wir – selbst unter optimistischen Marktentwicklungsannahmen bei der Elektromobilität – noch über 80 Prozent benzin- und dieselbetriebene Fahrzeuge im Markt haben. Selbst wenn wir der Elektromobilität sauberen Strom unterlegen, ist die CO2-Minderung in der Mobilität primär auf den Ersatz von fossilem Benzin und Diesel durch erneuerbare Benzin- und Dieseltreibstoffe angewiesen. Leider fehlen in der Schweiz dazu die entsprechenden Strategien. Aus erneuerbarer Elektrizität erzeugte synthetische, flüssige Treibstoffe wären deshalb ebenfalls eine äusserst wichtige Stütze – nicht zuletzt auch, um den Langstreckengüterverkehr und den Flugverkehr zu dekarbonisieren.

Wird die Elektromobilität im Moment eher überschätzt, während die CNG-Technologie unterschätzt wird…

Das kann man so nicht sagen. Falsch ist auf jeden Fall, diese Technologien als «Konkurrenten» zu diskutieren. Jede Technologie hat ihre Vor- und Nachteile – die Diskussion sollte in diesen Bereich gelenkt werden. Entscheidend wäre, diese Vor- und Nachteile genau zu kennen und jede Technologie dort einzusetzen, wo sie Vorteile aufweist. Elektro- und Gasantriebe ergänzen sich diesbezüglich ausserordentlich gut. (kro, 29. April 2019)


Elektromobilität alleine reicht nicht

Christian Bach, 56, Abteilungsleiter Fahrzeugantriebssysteme bei der Empa in Dübendorf, gehört zu den renommiertesten Wissenschaftler auf diesem Gebiet in der Schweiz. Zusammen mit seinem Team forscht er – auch in enger Zusammenarbeit mit bedeutenden Automobilherstellern – seit 1989 an höheren Wirkungsgraden sowie Schadstoff- und CO2-Minderungen von Fahrzeugantrieben. Gleichzeitig beschäftigt er sich mit einer nachhaltigen und umweltschonenden Mobilität der Zukunft. Für ihn ist klar: Die sich nur langsam entwickelnde Marktdurchdringung von Elektrofahrzeugen ist zu langsam für die nötige und rasche Dekarbonisierung unserer Mobilität. Es braucht alle relevanten und auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Antriebsarten. Aus Sicht der Empa spielen Gasfahrzeuge für eine CO2-Reduktion aufgrund des einfachen Umstiegs auf erneuerbare Treibstoffe und ihrer besonderen Eignung für verschiedene Fahrzeugsegmente und Anwendungen eine wichtige Rolle. Aber auch Benzin und Diesel müssen ökologischer, sprich erneuerbarer werden. Für die Empa ist auch klar: Erneuerbare Energien generieren zwar Mehrkosten, aber der ökologische Gewinn wiegt stärker – langfristig sogar wirtschaftlich.

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