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Was wird zur neuen Normalität?

An der Tagung des Studienforums Schweiz für mobile Antriebstechnik zeigen verschiedene Experten auf, wohin die Reise in eine dekarbonisierte Welt führt. Sie machen zudem auf die grössten Herausforderungen auf dem Weg zu den ambitiösen Klimazielen aufmerksam und erklären, mit welchem Antrieb beziehungsweise Energieträgern dies überhaupt realisierbar ist.

Der emeritierte ETH-Professor Konstantinos Boulouchos erläutert Details zum künftigen Energiebedarf der Schweiz. Quelle: CNG-Mobility.ch

Die Experten an der Tagung des Studienforums Schweiz für mobile Antriebstechnik – kurz SSM – sind sich einig: Eine Dekarbonisierung des Energiesystems ist dringend nötig, und die Herausforderungen, die sich dabei für die Mobilität in der Schweiz und weltweit stellen, sind gross. «Autos wie Lieferwagen und Busse können in der Schweiz zwar durch eine inländische Stromproduktion bedient werden», rechnet der emeritierte ETH-Professor Konstantinos Boulouchos vor. Der Mitautor der Energiestrategie des Bundesrates kennt die Details und ergänzt: «Dennoch werden im Winterhalbjahr 2050 Importe von 10 TWh nötig sein.»

Er identifiziert den Langstreckenverkehr als Schlüsselfaktor des Klimawandels und sieht einen hohen Bedarf an neuer Infrastruktur und Investitionen, um die Energiewende auf den Weg zu bringen. Es braucht für den Mobilitäts- und Energieexperten dazu Technologieoffenheit und auch erneuerbare Treibstoffe. Für seinen Kollegen von der Empa, Christian Bach, ist klar: «Wir müssen in die Umsetzung kommen, um die Transformation endlich voranzubringen.» Die jetzige CO2-Reduktion sei schlicht ein Corona-Effekt, mehr nicht. Es bringe ausserdem wenig, von einem fossilen Energieträger auf den nächsten zu wechseln. «Oder die dreckige Industrie in Länder mit lascherer CO2-Gesetzgebung auszulagern und sich das Ganze so schön zu rechnen», sagt Bach, dies  sei «schlicht Augenwischerei».

Professor Alexander Eisenkopf von der Zeppelin Universität in Friedrichshafen, Professor Kurt Möser vom Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), Patrick Maggio von der UBS Switzerland AG, Moderator Fabian Bigler von Avenergy und der emeritierte ETH-Professor Konstantinos Boulouchos während des Podiumsgesprächs an der SSM-Vortragstagung. Quelle: CNG-Mobility.ch

Einen wichtigen Punkt betreffend der neuen Energiesysteme für die Mobilität legt auch Professor Alexander Eisenkopf von der Zeppelin Universität in Friedrichshafen dar: «Die Techniker und Ingenieure stellen die Frage nach den Kosten oder der Effizienz bei einer Umsetzung nicht. Für sie ist nur entscheidend, ob es funktioniert. Die Ökonomen streben dagegen nach Kosteneffizienz.» Und diese Überlegungen müssten bei der europäischen Klimapolitik unbedingt eine Rolle spielen. Der Deutsche plädiert daher für einen Emissionshandel, um die Klimaziele effizienter zu erreichen. «Die anspruchsvollen Reduktionspfade sind ohne Emissionshandel kaum umsetzbar. Ansonsten droht eine Interventionsspirale», erläutert Eisenkopf.

Der Wirtschaftswissenschaftler ergänzt: «Verkehr, Wärme- und Gebäudesektor wie auch die Landwirtschaft sollten daher in den europäischen Emissionshandel einbezogen werden. Denn der Handel ermöglicht eine treffsichere Mengensteuerung des CO2-Ausstosses zu minimalen Kosten und überlässt die Preisbildung zudem dem Markt.» Der politische Eingriff, der E-Mobilität statt Technologieoffenheit verlange, führe dagegen zu einer massiven Marktverzerrung. Ausserdem sei die politische Debatte zum Klimaschutz viel zu oft emotional und auch moralisierend. «Viel Massnahmen haben eher Symbolcharakter, weil sich kaum jemand einschränken will», so Eisenkopf. «Das Ganze ist kein Selbstläufer!»

Patrick Maggio von der UBS Switzerland AG erläuterte die Risikoabwägungen, die eine Bank tätigen muss, wenn sie in neue Technologien, wie beispielsweise Biogasanlagen oder Biogas-Tankstellen auf Bauernhöfen, investieren will. Quelle: CNG-Mobility.ch

Das unterstreicht auch Konstantinos Boulouchos: «Allein die Elektrifizierung der Personenwagen und leichten Nutzfahrzeuge stellt schon eine Herausforderung dar, und das noch ohne die Luftfahrt und die schweren LKW, wohlgemerkt. Nur mit Velofahren oder Wegschauen werden wir die Klimawende nicht schaffen.» Der ETH-Experte plädiert dafür, dass man auch E-Fuels unbedingt in die Strategie miteinbezieht. «Die synthetischen Treibstoffe haben den riesigen Vorteil, dass sie auch in der Bestandsflotte eine CO2-Reduktion ermöglichen.» Dies sei entscheidend, denn selbst 2050 würde die Hälfte der Emissionen immer noch durch die Bestandsflotte verursacht. «Zudem ist eine internationale Zusammenarbeit nötig, denn in einer fragmentierten Welt ist kein wirksamer Klimaschutz möglich.»

Wie eine konkrete Umsetzung aussehen kann, macht vor allem Philippe Zimmermann klar. Der Projektleiter Fahrzeugantriebssysteme bei der Empa stellt ein zusammen mit dem Migros-Genossenschaftsbund entwickeltes Tool vor, das hilft, den Energiebedarf und den CO2-Ausstoss einer Nutzfahrzeugflotte zu berechnen. Anhand von mehreren Variablen wie Route und Ladung lassen sich so die unterschiedlichen Antriebsvarianten besser miteinander vergleichen und so die nachhaltigste Transportlösung für die jeweilige Fahrt bestimmen. «Wir schauen dabei einen Well-to-Wheel-Ansatz an, um nicht nur die Emissionen im Betrieb zu beurteilen, sondern den gesamten Energiebedarf und CO2-Ausstoss», erklärt Zimmermann. Dies erlaube einen fairen Vergleich der unterschiedlichen Antriebsarten, vom LKW mit CNG-Antrieb und Biogas im Tank über den Elektro-Truck bis hin zum Wasserstoff-Camion. «Wir erhalten so Informationen zu Fahrzeugen, die wir bereits in der Flotte nutzen, können aber natürlich auch Aussagen machen, die bei einer Flottenerneuerung oder -ergänzung helfen.» (jas, 8. September 2022)

Philippe Zimmermann, Projektleiter Fahrzeugantriebssysteme bei der Empa, stellte seine Methodik zur Bestimmung von CO2-Emissionen schwerer Nutzfahrzeuge mit unterschiedlichen Antriebsarten vor. Quelle: CNG-Mobility.ch

Die Unterlagen zur SMM-Vortragstagung

«Begrüssung durch den Präsidenten des SSM»
Christian Bach, Empa Dübendorf

«Neues, Altes, Gewinner, Verlierer – Gedanken zu Erfolgen und Misserfolgen von Technologien»
Prof. Dr. Kurt Möser, apl. Professor für Technikgeschichte am Institut für Geschichte des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), D-Neckarhausen

«Neue Energiesysteme für die Mobilität – Eine Finanzierung aus Sicht der Bank»
Patrick Maggio, Regionaler Verkaufsleiter UBS Investitionsgüterleasing / André Köchli, Firmenkundenberater UBS Luzern

«Emissionshandel versus Ordnungsrecht – Klimapolitik am Beispiel des Verkehrssektors»
Prof. Dr. Alexander Eisenkopf, Zeppelin Universität Friedrichshafen, D-Ravensburg

«Energieträger für die Mobilität der Zukunft: Dekarbonisierung, Versorgungssicherheit und Kosten»
Dr. Konstantinos Boulouchos, em. Prof. Eidgenössische Technische Hochschule ETHZ, Zürich

«Dekarbonisierung des Strassentransportes – Prädiktiver Modellansatz zur Bestimmung von CO2-Emissionen schwerer Nutzfahrzeuge mit konventionellen und alternativen Antrieben»
Philippe Zimmermann, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Empa Dübendorf

«Umsetzung der Energiestrategie bei den Stadtwerken»
Dr. sc techn. ETH Hans-Kaspar Scherrer, CEO Eniwa AG, Buchs AG

«Laden in Mehrfamilienhäusern, im Quartier und am Arbeitsplatz»
Robert Schürch, Leiter Verkauf & Kundenservice WWZ Energie AG, Zug


Christian Bach, Antriebsexperte bei der Empa und zugleich Präsident des Studienforums Schweiz für mobile Antriebstechnik. Quelle: CNG-Mobility.ch

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