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«Wer reines Biogas tankt, ist ähnlich umweltfreundlich unterwegs wie jemand, der mit Sonnenstrom fährt», erläutert Präsidentin von Biomasse Suisse. Quelle: Biomasse Suisse
Frau Schaffner, Sie sind nicht nur Präsidentin von Biomasse Suisse, sondern auch zuständig für das Ressort Rahmenbedingungen. Wie steht es denn um diese?
Barbara Schaffner: Die energetische Nutzung der Biomasse hat noch viel unausgeschöpftes Potenzial, das leider aus wirtschaftlichen Gründen zu wenig realisiert wird. Sowohl die Nutzung als Gas wie auch die Verstromung leiden unter zu tiefen Energiepreisen. Es braucht deshalb mehr Förder- und Lenkungsmassnahmen. Zuversichtlich stimmt mich, dass der Bund in seinen soeben erschienen Energieperspektiven mit einer verstärkten Nutzung der Biomasse rechnet.
Was sind die Hauptaufgaben des Verbandes Biomasse Suisse?
Der Verband kümmert sich umfassend um die Anliegen der Betriebe, die Biomasse vergären und kompostieren. Dies reicht von der Beratung bei technischen Fragen über Forschungsprojekte, Qualitätskontrollen, Marktentwicklung, Kommunikationsmassnahmen bis zum politischen Lobbying. Dabei decken wir alle Bereiche der Landwirtschaft, des Umweltschutzes und der Energie ab.
Wieso ist die Produktion von erneuerbarer Energie aus Biomasse so wichtig?
Die Biomasse ist ein wichtiges Puzzleteil für die nachhaltige Energieversorgung der Schweiz. Einzigartig an der Biomasse sind die breiten Einsatzmöglichkeiten in allen Bereichen, also im Verkehr, über die Verstromung, als (Ab-)Wärmeerzeuger und nicht zuletzt als Energiespeicher. Gerade diese Speicherbarkeit – primär in Form von Gas – macht die energetische Nutzung der Biomasse einzigartig.
Welche Materialien können überhaupt genutzt werden?
Im Prinzip kann alle Biomasse – von Gülle, über Grüngut bis Schlachtabfälle – vergoren und zu Biogas abgebaut werden. Einzige Ausnahme bildet das Holz beziehungsweise Lignin, welches anaerob nicht umgewandelt werden kann.
Wie viele Biomasse-Anlagen gibt es in der Schweiz?
Es gibt rund 120 landwirtschaftliche, 29 gewerbliche Biogasanlagen, die Grüngut vergären, und 21 industrielle Abwasseranlagen. Zudem wird das Biogas in rund 280 Kläranlagen genutzt.
Welches Potenzial besteht in der Schweiz noch?
Wir unterschieden zwischen einem theoretischen, einem ökonomischen und einem nachhaltigen Potenzial. Es gibt eine ganze Anzahl von Potenzialerhebungen in der Schweiz, die zum Teil stark voneinander abweichen. In einer vor zwei Jahren veröffentlichten Studie der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL wurde das nachhaltige Potenzial der Biomasse – ohne Holz– mit knapp 50 Petajoule, also 50 Billiarden Joule angegeben. Bei einer vollständigen Ausschöpfung dieses Potenzials könnte damit gut 5 Prozent des Schweizer Endenergie-Bedarfs abgedeckt werden. Zurzeit ist etwa ein Drittel davon genutzt.
Im Prinzip kann alle Biomasse – von Gülle, über Grüngut bis Schlachtabfälle – vergoren und zu Biogas abgebaut werden. Quelle: Biomasse Suisse
In Dietikon entsteht die erste industrielle Power-to-Gas-Anlage der Schweiz, wie wichtig ist diese Technologie für unsere Energiezukunft?
Wir alle wissen, dass wir möglichst schnell von fossilem Erdöl und Gas wegkommen müssen. Da geht es primär um die Klimafrage, aber auch um geopolitische Abhängigkeiten. Power-to-Gas löst nicht nur diese beiden Probleme, sondern bietet als Drittes auch noch die Möglichkeit, Sonnenstrom vom Sommer in den Winter zu speichern.
Wie kann die Kreislaufwirtschaft hierzulande besser etabliert werden?
Das ist eine enorm breite Frage. Grundsätzlich geht es darum, das Gedankengut zu verankern, dass es keinen Abfall mehr geben soll. Die Wichtigkeit dieses Kreislaufgedankens kann nicht oft genug wiederholt werden. Das beginnt bei der Entwicklung eines Produktes inklusive dessen Verpackung und endet bei der Entsorgung respektive Wiederverwertung. Dabei ist eine hohe Reinheit der Entsorgungsprodukte für eine hochwertige Wiederverwertung zentral.
«Wer reines Biogas tankt, ist ähnlich umweltfreundlich unterwegs wie jemand, der mit Sonnenstrom fährt.»
Bei der Biomasse heisst das konkret, dass die Sammlungen nicht mit Fremdstoffen verunreinigt sein dürfen. Nach der energetischen Nutzung bleibt immer noch Gärgut zurück. Dieses Gärgut ist ein hervorragender Dünger – aber nur wenn damit nicht auch Plastikresten auf die Felder ausgebracht werden. Damit die Biomasse optimal im Kreislauf genutzt werden kann, engagiert sich Biomasse Suisse mit der Förderung technischer Methoden und auch in der Kommunikation gegen Verunreinigungen in Grüngutsammlungen.
Alle sprechen von E-Mobilität oder Wasserstofffahrzeugen, wieso nur so wenige von Biogas oder BioLNG als zukunftsträchtiger Energieträger bei der Klimawende im Mobilitätssektor?
Sowohl bei der Elektro- wie auch bei der Wasserstoffmobilität entstehen beim Betrieb keine Abgase und auch kein CO2. Diese Betrachtungsweise greift allerdings zu kurz. Genauso wie beim Gas bestimmt beim Strom und beim Wasserstoff die Herstellung die Treibhauswirkung. Wer reines Biogas tankt, ist ähnlich umweltfreundlich unterwegs wie jemand, der mit Sonnenstrom fährt. Damit die Biogas-Mobilität eine breite Anerkennung als umweltfreundliche Mobilität erhält, braucht es aus meiner Sicht eine massive Erhöhung des Anteils von Biogas – oder synthetischen Gasen – im Gasnetz. Faktisch sind wir heute bei etwa 1 Prozent. Das ist absolut ungenügend, um von einem vielversprechenden Energieträger bei der Klimawende zu sprechen. Hier muss die Gaswirtschaft zuerst noch zeigen, dass sie willens und fähig ist, den Ausbau zu bewerkstelligen. Aber auch die Politik kann dazu beitragen, indem Biogas als Treibstoff in gleichem Masse unterstützt und gefördert wird wie der Wasserstoff oder der Strom aus der Sonne, zum Beispiel mit der Förderung der Gaseinspeisung und der Unterstützung beim Aufbau der Infrastruktur. Da hat uns die EU einiges voraus.
Eine der rund 120 landwirtschaftlichen und 29 gewerblichen Biogasanlagen, die in der Schweiz Grüngut vergären. Quelle: Biomasse Suisse
Was unternehmen Sie zugunsten von Biomasse?
In meinem ersten halben Jahr als Präsidentin ist es mir vor allem darum gegangen, mich vertiefter mit dem Thema zu beschäftigen und mich zu vernetzen – und gleichzeitig sind wir dabei, eine Nachfolgelösung für unsere Geschäftsstelle zu evaluieren. Auf politischer Ebene setzte ich mich dafür ein, dass das Potenzial der Biomasse nicht untergeht und die Rahmenbedingungen verbessert werden. In diesem Zusammenhang ist insbesondere die Kompensationspflicht für fossile Treibstoffe im neuen CO2-Gesetz interessant. Explizit aufgeführt ist dort die Kompensation durch biogene Treibstoffe.
Wird der Biomasse und dem Biogas in der Energiestrategie des Bundes schon genügend Gewicht eingeräumt?
Die Energiestrategie 2050 ist primär eine Stromstrategie. Die Verstromung von Gas ist zwar eine Option und wird dank der Energiestrategie auch gefördert. Das volle Potenzial der Biomasse wird darin aber nicht genügend berücksichtigt. Die schon erwähnten Energieperspektiven 2050+ messen der Biomasse jedoch mehr Gewicht zu und das stimmt mich hoffnungsvoll.
Und welche Rolle kann Biomasse bei einem europäischen «Green Deal» einnehmen?
In der EU wird vor allem erneuerbares Gas wie Biogas oder Wasserstoff und auch andere Biotreibstoffe im Schwerverkehr, der Schifffahrt und als Flugtriebstoff gefördert, weil es dazu in den nächsten 30 Jahren keine genügend grossen und ökonomisch umsetzbaren Alternativen gibt. Mit den vor rund 5 Jahren umgesetzten TEN-T und der Alternative Fuel Transport Directive, kurz AFID, hat der Aufbau eines transeuropäischen Netzes begonnen. Der «Green Deal» gibt dazu noch einen zusätzlichen Schub. Gefördert wird Gas auch durch die kürzlich veröffentlichte Methanstrategie. (jas, 15. Dezember 2020)