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Sprit für 533’000 LNG-LKW

Erfreulich: Der neuste Statistikbericht der European Biogas Association (EBA) zeigt: Die Biogasproduktion steigt in Europa massiv an. Auch in der Schweiz werden neue Grossprojekte angestossen, wie die Green Power Aarau AG, die bereits im Frühling 2025 in Betrieb gehen soll. Schade bloss: Bestehende Schweizer Biogasanlagen kommen wegen des Wegfalls der KEV bald unter Druck.

Die European Biogas Association (EBA) zeigt in der 14. Ausgabe ihres Statistikberichts auf, dass die kombinierte Biogas- und Biomethanproduktion in Europa sich 2023 auf satte 22 Milliarden Kubikmeter belief. Damit könnten beispielsweise 19 Millionen europäische Haushalte ganzjährig mit erneuerbarer Energie versorgt werden. Oder im Mobilitätsbereich könnten damit jährlich nicht weniger als 533’000 LKW mit LNG-Antrieb betankt werden. Eindrückliche Zahlen, und gleich noch eine weitere: Durch die ganze Biogasproduktion können so europaweit jährlich 106 Millionen Tonnen CO2-Emissionen vermieden werden!

Die ersten Ladung an Bio-LNG/LBG verlässt die neue Grossverflüssigungsanlage von Biokraft in Schweden. Quelle: Biokraft

Und diese Biogasproduktion in Europa ist weiter am Wachsen. 201 neue Biogasanlagen wurden im letzten Jahr in ganz Europa in Betrieb genommen, womit sich die Zahl auf insgesamt 1510 Biogasanlagen erhöhte. Auch in der Schweiz, wo 1997 die weltweit erste Anlage Biogas ins Gasnetz einspeiste, nimmt die Zahl weiter zu und hat mittlerweile 46 Anlagen erreicht. Bis 2030 fliessen europaweit ausserdem allein in den Biogassektor 27 Milliarden Euro an privaten Investitionen. So, dass die Biogasproduktion, die letztes Jahr um 21 Prozent anstieg und schon eine beeindruckende installierte Kapazität von 6,4 Milliarden Kubikmeter pro Jahr erreicht, weiter anwachsen wird.

EBA-KonferenzEine Biogas-Anlage im polnischen Gorzyca. Quelle: GIE

«Europas grösste Ressource zur Verringerung der Abhängigkeit von externen Energieversorgern ist eine Kombination aller erneuerbaren Energiequellen, einschliesslich Biogasen. Biogase sind ein wichtiger Faktor für die Bereitstellung erneuerbarer Energien, und das nicht nur in Bezug auf das Volumen», macht Harmen Dekker, CEO der EBA, deutlich. «Dank ihrer Flexibilität, ihrer Energiespeicherkapazität und ihrer Fähigkeit, regelbaren Strom zu erzeugen, unterstützen und fördern Biogase auch das Wachstum anderer erneuerbarer Energien.» Mit Blick auf das Jahr 2040 ist das Potenzial enorm. Die Experten der EBA rechnen, dass der Sektor bis zu 101 Milliarden Kubikmeter Biogas liefern und damit mehr als 80 Prozent des zu diesem Zeitpunkt zu erwartenden EU-Gasverbrauchs decken könnte.

Moderate Kosten und tiefe Emissionen ermutigen skandinavische Unternehmen, Biogas für den Transport zu verwenden. Quelle: Arla Foods

Biogas kann in Europa – aber natürlich auch in der Schweiz – zudem die Widerstandsfähigkeit des Energiesystems verbessern. Laut dem statistischen Amt der EU wurden 98 Prozent des Gasbedarfs der EU im Jahr 2022 noch durch Importe gedeckt. Angesichts dieser erheblichen Abhängigkeit von externen Energiequellen und der daraus resultierenden Abhängigkeit von Dritten sind Investitionen in die Biogasproduktion nach wie vor unerlässlich. Kleine Biogasanlagen auf Bauernhöfen, selbst Inselanlagen ohne Anschluss sind dabei genauso wichtig wie grössere Projekte, wie beispielsweise EcoBioVal Sàrl im jurassischen Courtemelon. Dort werden seit Januar 2024 rund 20’000 Tonnen Biomasse jährlich verarbeitet. Den überwiegenden Teil davon machen Mist und Gülle mit rund 18’000 Tonnen aus, welche die drei innovativen Landwirte und Betreiber Vincent Boillat, Hervé Cattin und Thierry Chételat nun in hochwertiges Biogas umwandeln und ins Netz einspeisen.

Erzeugt mit dem Biogas nicht einfach Strom, sondern speist es cleverer Weise direkt ins Netz ein: die Grossanlage von EcoBioVal im jurassischen Courtemelon. Quelle: EcoBioVal

Landwirtschaftliche Biogasanlagen können genauso zu einer zukunftsgerichteten und klimafreundlichen Energieversorgung in der Schweiz beitragen wie die sich noch im Bau befindliche Anlage der Green Power Aarau AG. Sie soll bereits im Frühling 2025 in Betrieb genommen werden. Hinter diesem Schweizer Grossprojekt stehen die vier Unternehmen Eniwa AG, Huber AG Windisch, WBM Beteiligungen GmbH und Thöni Industriebetriebe GmbH (A), die in der Aarauer Telli täglich bald bis zu 100 Tonnen Grüngut aus Aarau und den umliegenden Gemeinden verarbeiten wollen. Innerhalb von drei Wochen entsteht daraus bei rund 55 Grad Celsius einheimisches Biogas, das jährlich rund 15 Gigawattstunden klimaneutrale Energie liefert – jede Menge CO2-neutrale Energie aus der Region für die Region! Nach der Vergärung fallen zudem feste und flüssige Gärreste an, die in der umliegenden Landwirtschaft auf einer Fläche von über 600 Hektaren als Naturdünger eingesetzt werden können.

So soll das Schweizer Grossprojekt, die sich noch im Bau befindliche Anlage der Green Power Aarau AG, gemäss einer Visualisierung dann aussehen. Quelle: Swiss Interactive AG/zvg

Der Kanton Aargau ist aktuell eh ein gutes Pflaster, wenn es um nachhaltige Energie geht. Denn am renommierten Paul Scherrer Institut PSI haben Forschende kürzlich ein Konzept vorgestellt, wie sich die Mobilität dank der erweiterten Nutzung von Kohlendioxid aus Biogasanlagen auf wirtschaftlich konkurrenzfähige Weise dekarbonisieren lässt. Emanuele Moioli, Tilman Schildhauer und Hossein Madi konnten in einer Studie beweisen, dass eine geschickte Kombination von Strom- und Biogasproduktion enormes Potenzial bietet und dies trotz mehrerer Umwandlungs- und Rückumwandlungsprozessen.

Emanuele Moioli und seine Forschungskollegen vom PSI sehen grosses Potenzial in der Kombination von Strom- und Biogasproduktion. Quelle: Paul Scherrer Institut PSI/Markus Fischer

Und so funktioniert es: Im Sommer, teils auch im Frühjahr und Herbst, wenn mehr erneuerbarer Strom vorhanden ist als benötigt wird, werden die Überschüsse gespeichert – um sie im Winter, bei knappen erneuerbaren Strommengen, gezielt für die Mobilität zur Verfügung zu stellen. Per Elektrolyse wird zuerst grüner Wasserstoff (H2) hergestellt. In einem weiteren Schritt synthetischer Treibstoff: gasförmiges Methan (CH4) und flüssiges Methanol (CH3OH). «Es ist viel besser, den Wasserstoff weiter in Methan oder Methanol umzuwandeln, weil deren Energiedichte viel grösser ist als die von H2. Dadurch verringert sich der Platzbedarf erheblich, was sowohl die Lagerung als auch den Transport enorm vereinfacht», erläutert Experte Emanuele Moioli. Für die Herstellung der Energiespeichermoleküle braucht es jedoch den Reaktionspartner, Kohlendioxid. Als CO2-Quelle sieht das Dekarbonisierungskonzept der PSI-Experten Biogasanlagen vor. Hier entsteht CO2 bislang als Abfallprodukt der Biogasaufbereitung.

Bestehende Anlagen wie diese landwirtschaftliche Biogasanlage von Biogaz vers chez Grison Sàrl im Waadtland werden von den neuen Regelungen leider nicht profitieren können. Quelle: Ökostrom Schweiz

Schade nur, dass mit den am 13. November 2024 publizierten Verordnungen zum Stromgesetz 2025 ausgerechnet die neuen Rahmenbedingungen für bestehende landwirtschaftliche Biogasanlagen nicht mehr so rosig aussehen. Die vom Bundesrat verabschiedeten Rahmenbedingungen reichen gemäss der Einschätzung des Fachverbands Ökostrom Schweiz nämlich nicht aus, um die Wirtschaftlichkeit der bestehenden landwirtschaftlichen Anlagen zu sichern. Nach Auslaufen der Kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV) brechen für die Betreiber rund 40 Prozent der Stromerlöse weg. Jede dritte Biogasanlage in der Schweiz ist bis 2030 davon betroffen; ein Grossteil dürfte daher die Stromproduktion einstellen müssen. «Die bestehenden Anlagen sind praxiserprobt und an optimalen Standorten gebaut», kritisiert Anlagenbetreiber und Präsident von Ökostrom Schweiz Michael Müller. «Dort, wo organische Reststoffe anfallen. Diesen Anlagen den Stecker zu ziehen, ist volkswirtschaftlich sehr fragwürdig.»

Energie aus nachhaltigen Quelle ist gefragt und zwar egal, ob aus bestehenden oder erst noch zu errichtenden Anlagen. Quelle: VGS

Da bleibt es auch nur ein kleines Trostpflaster, dass sich die Situation für neue Biogasprojekte verbessert. Dort gelten künftig Fördervoraussetzungen mit publizierten Vergütungssätzen in einem System der sogenannten «gleitenden Marktprämie». Das kann langfristige Planungssicherheit für den Bau und den Betrieb landwirtschaftlicher Biogasanlagen schaffen. Dennoch scheint die Politik auf dem Weg hin zu mehr Biogas aus der und für die Schweiz einen Chance vertan zu haben. Dabei braucht es möglichst viel nachhaltige Energie – egal, ob als Moleküle oder als Elektronen – um unsere Energieversorgung zu sichern und das Netto-Null-Ziel zu erreichen. (jas, 23. Dezember 2024)

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