Portal für klimafreundlichere Mobilität
Aktuell beträgt der Biogasanteil an Schweizer CNG-Zapfsäulen im Schnitt 23,6 Prozent. (Quelle: VSG)
Die Schweizer Gaswirtschaft hat in ihrer Geschichte immer wieder bewiesen, wie lösungsorientiert sie ist. Dies stellt der Verband der Schweizerischen Gasindustrie VSG auch zu seinem 100-Jahr-Jubiläum 2020 unter Beweis. Aktuell geht es darum, die Auswirkungen der Corona-Krise souverän zu meistern und gleichzeitig nach vorn zu blicken. Denn selbst wenn der Weg zum Netto-Null-Ziel des Bundesrates von 2050 noch nicht klar ist, sieht sich die Gaswirtschaft als Teil der Lösung auf dem Weg zu einer klimaneutralen Schweiz und will diesen Weg aktiv mitgestalten. VSG-Direktorin Daniela Decurtins nimmt im Exklusivinterview Stellung zur Energiepolitik, zur CNG-Mobilität und zur Rolle von Biogas.
Welche Auswirkungen hat die Corona-Krise auf den Energiemarkt?
Daniela Decurtins, Direktorin des Verbands der Schweizerischen Gasindustrie VSG: Der Lockdown führte dazu, dass die Wirtschaft, insbesondere die Industrie, weniger Energie verbrauchte. Der Rückgang der Nachfrage belastet seit einigen Wochen die Strom- und Gaspreise. Ob die Corona-Krise längerfristige Auswirkungen auf die Energiemärkte hat, hängt davon ab, wie schnell sich die Wirtschaft in der Schweiz und in Europa erholt.
Wie sehen Sie die Zukunft von CNG generell und bezogen auf die Kundensegmente?
Der Strassenverkehr verursacht am meisten Treibhausgase, zudem auch noch Stickoxid- und Feinstaubemissionen. Um die Klimaziele zu erreichen, sind Lösungen für den Verkehr absolut zentral. Die gute Nachricht ist, dass es diese Lösungen bereits gibt: alternative Treibstoffe wie CNG, LNG und Wasserstoff. Je grösser der Anteil der erneuerbaren Gase, die dem Treibstoff beigemischt werden, desto höher ist die Wirkung auf das Klima. CNG hat den Vorteil, dass bereits ein dichtes Tankstellennetz vorhanden ist. CNG-Fahrzeuge eignen sich hervorragend für den Individualverkehr, wenn längere Strecken zurückgelegt werden. LNG- und Wasserstofffahrzeuge sind eine umwelt- und klimafreundliche Alternative für den Transportbereich.
Von aussen betrachtet, werden die verschiedenen Antriebstechnologien unterschiedlich gefördert. Ist ein fairer Wettbewerb gewährleistet?
Heute ist die Politik zu stark auf die Elektromobilität fokussiert. Die unterschiedlichen Antriebe müssen technologieneutral beurteilt werden, damit ein echter Wettbewerb möglich ist. Dabei muss berücksichtigt werden, dass nicht eine einzige Technologie zum Ziel führt. Jede alternative Antriebsform weist je nach Verwendungszweck spezifische Vorteile auf. Die Gasmobilität eignet sich beispielsweise sehr gut für längere Strecken, die Elektromobilität eher für den Kurzverkehr in der Stadt und Agglomeration.
Eine Schlüsselrolle für eine nachhaltigere Mobilität kann Biogas spielen. Dessen Anteil im Schweizer Tankstellennetz liegt inzwischen bei 23,6 Prozent. Wie sehen Sie hier die Entwicklung?
Je mehr Biogas dem CNG beigemischt ist, desto kleiner ist der klimarelevante CO2-Ausstoss. Mit Biogas angetriebene Fahrzeuge sind den Elektromobilen ebenbürtig, sogar wenn diese ausschliesslich mit erneuerbarem Strom betrieben werden. Von daher ist die Stossrichtung klar: Die Schweizer Gaswirtschaft beabsichtigt, bis 2023 im Treibstoff 30 Prozent Biogas anzubieten und langfristig vollständig erneuerbar zu werden. Damit wird die Gasmobilität die beste Klimabilanz aufweisen und ist eine überzeugende Alternative zu den Elektrofahrzeugen.
Der Biogasanteil wächst in den letzten Jahren im europäischen Raum stetig an. Aktuell liegt der Anteil bei 17%. In welchem Zeitraum denken Sie, wird der erneuerbare Anteil höher sein als der fossile Anteil?
Die Gasindustrie in Europa, wie auch in der Schweiz, unternimmt grosse Anstrengungen, die erneuerbaren Gase zu fördern. Wie schnell dieser Prozess vorangeht, hängt auch stark von der Politik ab, insbesondere den Anreizen, die sie setzt. Von daher ist es zum jetzigen Moment schwierig, Prognosen zu machen.
Wird die Anerkennung des Biogasanteils jährlich neu vereinbart oder läuft das faktisch von selbst? Wo stehen wir hier im politischen Prozess?
Dank einer Verordnungsanpassung werden seit Anfang 2020 neu 20 statt wie vorher nur 10 Prozent des CNG in der Schweiz als erneuerbar anerkannt. Das ist aus unserer Sicht ein wichtiger Schritt. Natürlich arbeiten wir auf weitere Erhöhungen hin. Da wird sich zeigen, wie rasch wir hier vorankommen.
Werden die Beiträge der Gasbranche für mehr Nachhaltigkeit von der Politik auch honoriert?
Die Gaswirtschaft hat in den vergangenen Jahren sehr viel investiert, um erneuerbare Gase ins Netz einzuspeisen. Dies ohne staatliche Förderung und mit viel Engagement. Das wurde von der Politik zu wenig gewürdigt, vielmehr wurde die Gaswirtschaft sogar noch behindert. Das sollte jetzt im Rahmen der Energie- und Klimapolitik offen diskutiert werden. Da erwarten wir auch klare Signale. Wir sind überzeugt, dass es einen breiten Mix an Energieträgern und Infrastrukturen braucht, um die Energieversorgung bis 2050 zu dekarbonisieren. Die Schweizer Gasversorgung unterstützt dieses Ziel. Der Weg dorthin wird schwierig sein und ist auch noch unklar, aber Ziel muss sein, dass die Energieversorgung klimaneutral wird, gleichzeitig aber auch sicher und wirtschaftlich tragbar bleibt. Gas kann hier einen wichtigen Beitrag leisten, die Branche strebt entsprechend bis 2050 auch eine CO2-neutrale Gasversorgung an.
Mit Blick auf Kosten-Nutzen, Reichweite und Schadstoffemissionen ist CNG eine attraktive Alternative zu herkömmlichen Treibstoffen. (Quelle: VSG)
Wie gross ist das Potenzial von Biogas in der Schweiz aus Sicht des VSG – und wo liegen die grössten Herausforderungen?
Eine Studie der Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) zeigt, dass in der Schweiz grundsätzlich noch genügend Biomasse vorhanden ist, um grosse Mengen an Biogas zu produzieren. Die grössten ungenutzten Potenziale liegen in der Landwirtschaft; heute werden beispielsweise nur gerade sechs Prozent des anfallenden Hofdüngers energetisch genutzt. Die Erschliessung gewisser Potenziale verursacht allerdings so hohe Kosten, dass ein Import von nachhaltigem Biogas sinnvoller ist. Es gibt mehrere Möglichkeiten, die Biogasproduktion in der Schweiz noch weiter auszubauen, sei es in gewerblich-industriellen Biogasanlagen, Abwasserreinigungsanlagen oder mit landwirtschaftlichen Biogasanlagen.
Mit Power-to-Gas kann die Biomethanproduktion zusätzlich massiv gesteigert werden. Der aus der Elektrolyse stammende Wasserstoff wird mit dem CO2 im Biogas verbunden. So entsteht fast 100 Prozent Biomethan und eine Aufbereitung vor der Einspeisung ist nicht mehr notwendig. Die Gaswirtschaft prüft diese Technologie in Pilot- und Demonstrationsanlagen. Erste grössere Power-to-Gas-Anlagen sind in Planung. Eine 2019 von PSI und Empa publizierte Studie berechnet das Potenzial zur Produktion von Power-to-Gas in der Schweiz auf rund 5 TWh. Die künftigen grossen Potenziale für synthetische Gase liegen aber im Ausland, wo Power-to-Gas-Anlagen wesentlich effizienter betrieben werden können. In weiter Zukunft kann es eine Option sein, Solarstrom aus südlich gelegenen Ländern in flüssiges Methan umzuwandeln und später ins Gasnetz einzuspeisen.
Was müsste politisch passieren, damit die CNG-Mobilität noch stärker in Fahrt kommt?
Wir sind überzeugt, dass die Verkehrswende nur mit Gas zu schaffen ist, zumal die notwendigen Technologien bereits vorhanden und erprobt sind. CNG ist mit Blick auf Kosten-Nutzen, Reichweite und Schadstoffemissionen eine attraktive Alternative zu herkömmlichen Treibstoffen. Es liegt an der Politik, die Anreize so zu setzen, dass die vielen Vorteile von CNG im Markt zum Tragen kommen.
Aktuell überlegt sich die EU eine Kurskorrektur bei der CO2-Flottenregelung: Ausschlaggebend für die Berechnung soll nicht mehr sein, was aus dem Auspuff kommt, sondern es soll künftig die gesamten Emissionen gemessen werden, die ein Fahrzeug von der Produktion über den Betrieb bis zur Entsorgung verursacht. Sehen Sie hier eine weitere Chance für CNG?
Heute stellt sich das Problem, dass Elektroautos in den EU-Bestimmungen als Null-Emissionsfahrzeuge geführt werden, während CNG-Autos, die mit Biogas betrieben werden, nicht als treibhausgasneutral eingestuft werden. Das ist tatsächlich eine Ungleichbehandlung, die korrigiert werden muss, indem alle Emissionen berücksichtigt werden, die ein Fahrzeug während seines Lebenszyklus verursacht. Für die Zukunft der CNG-Mobilität wird massgebend sein, wie die EU die Rahmenbedingungen gestaltet und welche Anreize sie setzt, damit die Autoindustrie auch künftig CNG-Fahrzeuge herstellt. Das wird sich in den nächsten Jahren entscheiden. (pl, 9. Juni 2020)
Die Schweizer Gaswirtschaft hat sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten zu einem wichtigen Pfeiler der Schweizer Energieversorgung entwickelt. Sie unterstützt das Netto-Null-Ziel 2050 des Bundesrates. Damit diese Transition sicher und zu möglichst geringen Kosten erfolgen kann, um die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft nicht zu beeinträchtigen, muss der Umbau von einem breiten Mix an Energieträgern und Infrastrukturen getragen werden. Neben einer zunehmenden Elektrifizierung müssen auch erneuerbare Gase und Wasserstoff in den Überlegungen eine zentrale Rolle spielen, um die Ziele des Bundesrates zu erreichen. Das angefügte Positionspapier «Thesen 2020» dokumentiert das Bekenntnis und den Beitrag, den die Schweizer Gaswirtschaft zur Erreichung dieser Ziele leisten will, auch wenn der Weg zur klimaneutralen Schweiz noch nicht klar gezeichnet ist.