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Jens Andersen
 
 

Man sollte das gesamte fossile Gas durch Biogas ersetzen

Für Technologie-Experte Jens Andersen ist klar, dass die Politik angesichts der Corona-Krise und den negativen Folgen für die Autoindustrie das Elektroantriebs-Zwangskorsett für die europäische Autoindustrie lockern muss. Der Motorenexperte wünscht sich zudem einen knallharten Wettbewerb mit Gesamtbetrachtung der Technologien, von der Herstellung bis zur Verschrottung. Und er kann sich vorstellen, einen VW-CNG-Antrieb auch einmal in einem Fahrzeug ausserhalb des VW-Konzerns anzutreffen.

Jens Andersen

Jens Andersen, weshalb benötigt es bei den CO2-Emissionen eine technologieneutrale Betrachtung und nicht eine ideologische?
Jens Andersen, Technologie-Experte: Für den maximalen technologischen Fortschritt bedarf es eines maximalen Wettbewerbs der Technologien. Somit auch des Wettbewerbs zwischen Ingenieuren. Im VW-Konzern hätten wir, zumindest in meiner Zeit, ohne diesen bewussten, internen Wettbewerb – das Schüren dieses Wettbewerbs durch den früheren VW-Vorstandsvorsitzenden Ferdinand Piëch ist geradezu legendär – nicht diese Vielzahl an wegweisenden Innovationen erreicht. Von planwirtschaftlichen Technologie-Zielsetzungen halte ich überhaupt nichts. Deutschland liefert in dieser Hinsicht mit der DDR und deren Wirtschaftssystem ein prominentes historisches Negativbeispiel. Das mit der Planwirtschaft muss man eigentlich nicht nochmals versuchen. Leider wiederholt sich die Geschichte. Somit wiederholen sich auch Fehler, die Menschen machen – mich eingeschlossen.

Besteht auch die Möglichkeit, dass nicht der Antrieb ausschlaggebend ist, sondern der Treibstoff, der erneuerbar sein sollte?
Exakt, nicht der Verbrennungsmotor ist per se schlecht, es ist der verwendete Kraftstoff. Ein kleines Gedankenspiel hierzu: Wir hätten heute eine Energiewirtschaft, die auf Methan basiert. Dann finden wir in der Wüste plötzlich Erdöl, dessen Bestandteile wie Benzol, Toluol und Xylol gesundheitsschädlich und im Falle von Benzol erwiesenermassen krebserregend sind. Würden wir dann die Wirtschaft trotzdem auf den Energieträger Erdöl umstellen, nur weil er fast umsonst aus der Erde sprudelt? Vor diesem Hintergrund werde ich auch weiterhin die Politik auffordern, regenerativ erzeugte Treibstoffe bei der Energiewende zu berücksichtigen und so bei den Antriebstechnologien eine Diversifikation zu ermöglichen.

Welches Potenzial hat CNG bei den Flottenkunden?
Aus vielen Gesprächen und Erkenntnissen eines meiner Geschäftspartner, der sich dieses Themas vertriebsseitig angenommen hat, weiss ich, dass bei entsprechender Aufklärung über die Vorteile des CNG-Antriebs gerade Betreiber kleinerer Flotten ein ausgesprochen hohes Interesse signalisiert haben. Diese mittelständischen Firmen haben zudem die Möglichkeit, sich eine CNG-Tankstelle auf dem Betriebsgelände zu installieren. So kann man seine Fahrzeuge mit nachhaltig erzeugtem Methan fast CO2-neutral betrieben. Auch das Investment in die Tankstelle rechnet sich sehr schnell, da wertvolle Arbeitszeit der Mitarbeiter nicht für Fahrten zur Tankstelle vergeudet werden. Die Zeitersparnis und der daraus entstehende monetäre Vorteil werden oft unterschätzt.

«Gerade mit der derzeitigen Evo-Motorengeneration des VW-Konzerns kann kein Hersteller mithalten. Erst recht, was die g-tron-Fahrzeuge von Audi angeht.»

Wie schätzen Sie das Potenzial bei den schweren Nutzfahrzeugen ein?
Der Schwerlastverkehr bietet für mich das mit Abstand grösste Potenzial, Diesel durch Methan zu ersetzen. Wenn sich die EU darauf verständigt, dass für LKW die Well-to-Wheel-Bilanz für CO2-Emissionen herangezogen werden, wird das die LKW-Hersteller veranlassen, auch methanbetriebene Motoren weiterzuentwickeln. Ein gezielt auf Methan ausgelegter Motor ist hinsichtlich des thermodynamischen Wirkungsgrades gleich oder sogar besser als ein aktueller Dieselmotor.

Wie stehen Sie zu Biogas?
Äusserst positiv. Schauen Sie: In Deutschland wären wir theoretisch in der Lage, mit Biomethan aus Abfällen den gesamten Schwerlastverkehr zu versorgen. Statt Stroh auf den Äckern verfaulen zu lassen und dort Gülle zu verteilen. Damit die Atmosphäre nicht mit dem Treibhausgas Methan weiter angereichert wird, sollten wir diesen Energieträger direkt für den Verkehr nutzen. Wir haben in Europa noch enormes, ungenutztes Potenzial, diese Abfälle sinnvoll zu nutzen.

Der VW-Konzern ist in der CNG-Technologie jener mit dem breitesten Angebot. Wo stehen die anderen Hersteller?
Einem kleinen Team von Überzeugungstätern gelang es innerhalb von nur zwei Jahren, mit entsprechend starker Kommunikation und Aufklärung einen Allzeit-Zulassungsrekord für CNG-Fahrzeuge auf die Beine zu stellen und dabei bislang starke Wettbewerber förmlich an die Wand zu drücken. Gerade mit der derzeitigen Evo-Motorengeneration des VW-Konzerns kann kein Hersteller mithalten. Erst recht, was die g-tron-Fahrzeuge von Audi im Premiumsegment angeht. Bei den LKW sieht die Situation anders aus: Hier gibt es neben denjenigen des VW-Tochterunternehmens Scania auch wettbewerbsfähige Angebote zum Beispiel von Volvo oder auch Iveco mit unterschiedlichen technologischen Lösungen. Dies gilt auch für das Angebot bei den Stadtbussen.

«Es hängt wirklich alles von den politischen Rahmenbedingungen ab. Die Politik kommt nicht darum herum, das Elektroantriebs-Zwangskorsett für die europäische Autoindustrie zu lockern.»

Was muss passieren, damit CNG besser in Schwung kommt?
Es hängt wirklich alles von den politischen Rahmenbedingungen ab. Angesichts der Corona-Krise und den sich bereits abzeichnenden dramatischen Folgen für die Autoindustrie kommt, aus meiner Sicht, die Politik nicht darum herum, das Elektroantriebs-Zwangskorsett für die europäische Autoindustrie zu lockern. Sie muss dem saubersten Kohlenwasserstoff, Methan, eine mittelfristige Zukunft auch im PW ermöglichen. Die Energiewende im Verkehrssektor muss man jetzt so steuern, dass sie vorankommt. Und zwar ohne, die eigene Schlüsselindustrie dabei quasi mit dem Kopf durch die Wand auf den Rein-Elektro-Pfad zu zwingen, und sie damit fast zu Grunde zu richten. Ich erwarte hier bald intensivste Diskussionen. Eine Kurskorrektur drängt sich in Anbetracht der finanziellen Herausforderungen durch die Corona-Krise geradezu auf.

Wenn es durch die Corona-Krise zu einem Lieferengpass von wichtigen Teilen für Elektrofahrzeuge kommt und Herstellern und Importeuren ein Teil des fest eingeplanten CO2-Einsparpotenzials verloren gehen würde – schlägt dann die Stunde von CNG?
Auf der Basis rein rationaler, undogmatischer Überlegungen könnte das der Fall sein. Ich kann es mir im Sinne der Bevölkerung, der Unternehmen und der Umwelt nur wünschen. Die Politik muss an dieser Stelle unterstützend eingreifen. Vielleicht finden wir auch einmal einen VW-CNG-Antrieb in einem Fahrzeug ausserhalb des VW-Konzerns – keinesfalls abwegig. In der Krise sollten wir mehr zusammenrücken.

Welche Entwicklungsmöglichkeiten sehen Sie für CNG als Treibstoff?
CNG sollte sich insbesondere in solchen Segmenten und Märkten etablieren, in denen sich auf absehbare Zeit eine Umstellung auf batterieelektrische Antriebe schon aus rein monetären Gründen ausschliesst. In jedem Falle sollte die nachhaltige Erzeugung von Methan vorangetrieben werden. Ich würde mir ausserdem einen politisch gewollten, fairen, aber knallharten Wettbewerb mit einer Gesamtbetrachtung, von der Herstellung bis zur Verschrottung, zwischen dem Elektro- und dem CNG-Fahrzeug wünschen. Dabei kann man in Summe nur gewinnen.

Wie beurteilen Sie die aktuelle Erhöhung des Biogasanteils auf fast 50 Prozent in Deutschland? Genügt der Anteil oder sollte man mehr anstreben?
Ich finde das vorbildlich. Die deutsche Verbio AG, ein Spezialist für die Herstellung von Biokraftstoff aus Stroh, und insbesondere deren Vorstandsvorsitzender hat an dieser Entwicklung einen massgeblichen Anteil. Sofern es betriebswirtschaftlich darstellbar ist, sollte man das gesamte fossile Gas durch Biogas ersetzen. Das wäre dann realer und glaubwürdiger Klimaschutz zugunsten europäischer Unternehmen und Arbeitnehmer.

 «Vielleicht finden wir auch einmal einen VW-CNG-Antrieb in einem Fahrzeug ausserhalb des VW-Konzerns – keinesfalls abwegig»

Sie sind leidenschaftlicher Motorradfahrer. Warum gibt es eigentlich keine CNG-Motorräder?
Das Motorrad wird heute fast ausschliesslich in der Freizeit eingesetzt und ist ein noch emotionaleres Produkt als das Auto. Insofern spielen rationale Fakten beim Motorrad so gut wie keine Rolle und ökologisch fallen Motorräder kaum ins Gewicht. Fürs Motorrad erwarte ich angesichts zumeist kurzer Strecken und geringer Lasten eine batterieelektrische Zukunft. CNG bietet sich für das Motorrad technisch auch nicht wirklich an. Ich hatte einmal die Gelegenheit, ein externes Motorradprojekt mit einem 3-Zylinder-Dieselmotor zu unterstützen. Am Ende fuhr der Prototyp sensationell sparsam, mit enormem Drehmoment und, nennen wir es, gewöhnungsbedürftiger Akustik. ‹Freaky› würde man sagen. Ein CNG-Motorrad wäre auch ‹freaky›. (kro, 11. April 2020)

Lesen Sie auch den ersten Teil des Interviews: «Es werden einseitig E-Fahrzeuge gefördert»

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