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IAA Transportation
 
 

Klima- statt Elektrifizierungsziele

An der Nutzfahrzeug-Leitmesse IAA Transportation in Hannover (D) waren gerade die LKW der Zukunft samt unterschiedlichster Antriebsformen zu bewundern. Auffällig: Neben den vielen chinesischen Herstellern setzten längst nicht alle auf Elektro-LKW für die Zukunft – und das hat Gründe. Zudem werden nun auch in Deutschland, die Stimmen lauter, die eine Anpassung der LKW-Maut fordern, um unter anderem Investitionen in den Bio-LNG/LBG-Bereich zu fördern.

Grosses Stelldichein der Nutzfahrzeug- und Transportbranche in Hannover (D). Quelle: IAA Transportation

Mit über 1700 Ausstellenden aus 42 Ländern verzeichnete die IAA Transportation in Hannover (D) einen neuen Rekord. Die Leitmesse für Nutzfahrzeuge und das Transportwesen machte zudem deutlich, dass wie bei den Personenwagen nun auch bei den LKW und leichten Nutzfahrzeugen chinesische Hersteller in Europa Fuss fassen wollen. Und dies keineswegs nur mit Diesel-LKW! BYD Trucks oder beispielsweise Sitrak fuhr zur IAA sein gesamtes Portfolio inklusive Brennstoffzellen-LKW für die Langstrecke oder eine rein elektrische Sattelzugmaschine auf. Doch selbst, wenn immer mehr E-LKW an den Ständen zu bewundern waren: Auf die Strasse rollen sie meist erst in ein paar Jahren.

Auffällig: Viele chinesische Hersteller waren an der IAA Transportation 2024 zu sehen. Quelle: IAA Transportation

Die Fragen nach der Ladeinfrastruktur für Brummis werden immer drängender, Lösungen gibt es jedoch noch kaum – eher Versprechungen. Beispiel Deutschland, Heimstatt der IAA Transportation: Bald sollen gemäss Verkehrsminister Volker Wissing Netzanschlüsse für 350 Ladeparks mit 4200 Schnellladepunkten zur Verfügung gestellt werden. Entlang europäischer Hauptverkehrsachsen soll zudem ein Netz mit 70 Ladeparks und 570 Ladepunkten in zehn Schlüsselländern etabliert werden. In der Schweiz soll 2025 die Ausschreibung der ersten Ladehubs an Nationalstrassen starten. Während die Politik also gerne in die elektrische und oft auch in die Wasserstoff-Zukunft blickt, geht viel zu oft vergessen: Es gibt bereits heute eine praktikable und etablierte Lösung, die im Schwerverkehr einen nahezu CO2-neutralen Transport ermöglicht: Biogas oder Bio-LNG/LBG.

Iveco zeigte neben S-Way-Modellen auch den Eurocargo mit 280 PS starkem CNG-Antrieb und mit 110-Kilo-CNG-Tank. Quelle: Iveco

Umso erfreulicher daher, dass bei den grossen LKW-Herstellern sowohl Iveco also auch Scania auf ihren IAA-Transportation-Ständen auch neue Modelle mit CNG-Antrieb oder für die Langstrecke mit LNG-Antrieb zeigen und so die Technologieoffenheit im Transportwesen unterstützen. Bei Iveco war unter anderem der 280 PS starke und mit 110-Kilo-CNG-Tank aufwartende Iveco Eurocargo zu bewundern. Und Stefano Fedel, Executive Vice President und Head of Sales & Marketing bei Scania, erläuterte: «Wir konzentrieren uns darauf, allen Transportkunden, die ihren CO2-Fussabdruck reduzieren wollen, neue Energie zu geben. Unabhängig von der Art des jeweiligen Unternehmens kann Scania eine modulare Lösung entwickeln, die den spezifischen Anforderungen entspricht.»

Egal, ob mit Biogas oder mit Bio-LNG/LBG unterwegs, das Scania-Modell spult Kilometer für Kilometer nahezu CO2-neutral ab. Quelle: Scania

Die Schweden zeigten neben E-Varianten auch einen Scania R 460 mit CNG-Aggregat, aber nicht nur CNG-Tanks. Auf der einen Seite sind herkömmliche CNG-Tanks mit einem Volumen von 608 Kilo angebracht, auf der anderen Seite sind es Tanks für das hochkalte, verflüssigte LNG mit einem Volumen von 400 Liter. Nutzt man in beiden Fällen Gas aus nachhaltigen Quellen und fährt mit Biogas respektive Bio-LNG/LBG, schafft man nicht nur bis zu 1800 Kilometer Reichweite, sondern ist äusserst umweltschonend und nahezu CO2-neutral unterwegs – und zwar heute, nicht morgen!

Links die CNG-Tanks für Biogas und rechts der Tank für das hochkalte und verflüssigte Bio-LNG/LBG. Quelle: Scania

Daher versucht der Verband Zukunft Gas das Thema und vor allem die Vorteile von Bio-LNG/LBG mit einem neuen Positionspapier bekannter zu machen. Im ersten Halbjahr 2024 wurden allein in Deutschland fast 70000 Tonnen LNG an den Tankstellen abgesetzt, wobei der Anteil von Bio-LNG dabei bereits bei 60 Prozent lag und so rund 139’000 Tonnen CO₂eq eingespart werden konnten. «Wir brauchen jetzt eine ambitionierte Klimapolitik, die alle verfügbaren Technologien einbezieht. Bio-LNG ist eine sofort verfügbare Lösung für die Dekarbonisierung des Schwerlastverkehrs und muss politisch gefördert werden», sagt Timm Kehler, Vorstand Zukunft Gas.

«Teilen der Politik muss noch klar werden, dass es nicht um Elektrifizierungs-, sondern Klimaziele geht! Nur so können wir die nötigen Investitionen mobilisieren und den Hochlauf von klimafreundlichen Treibstoffen beschleunigen. Seit Jahren entwickeln wir ambitionierte Visionen im LKW-Bereich, ob Batterien, Oberleitungen oder Wasserstoff. Mit Bio-LNG haben wir aber heute eine marktreife und technisch erprobte Lösung, um sofort auf signifikante CO₂-Einsparungen zu kommen.» Bio-LNG sei auch dank CO2-Quoten und Zertifikatshandels in Europa nicht mal teurer als sein fossiles Pendant.

Auch der amerikanische Aggregate-Spezialist Cummins setzt konsequent und seit Jahren auf Technologieoffenheit. Quelle: IAA Transportation

Weil die Politik allzu oft nur auf Elektro setze und zudem keine zwingend nötige Differenzierung zwischen Personenwagen und LKW vornehme, werde die Bedeutung von Bio-LNG für die Dekarbonisierung des Schwerlastverkehrs oft vergessen. Dies erklärt auch Christian Schneider, Geschäftsführer von ViGo Bioenergy: «Die Anschlussleistungen für die LKW-Ladesäulen werden wir nicht einfach so herstellen können, das wird eine Herausforderung. Bio-LNG ist für uns nicht nur eine klimafreundliche Alternative, sondern eine notwendige Lösung, um die CO₂-Emissionen im Schwerlastverkehr nachhaltig zu reduzieren.» Schneider, der mit seinem Unternehmen in die Biogas-Produktion investiert und ein wachsendes Tankstellennetz betreibt, bietet an Zapfsäulen 100 Prozent Bio-LNG/LBG. «Ich sehe keine alleinige Alternative zum Diesel, um den Schwerverkehr zu dekarbonisieren», erklärt Schneider. «Ich sehe eine ganze Bandbreite von Technologien; vielleicht sogar als Hybrid ausgelegte Varianten. In den nächsten Jahren werden etwa 30 Prozent Elektro-LKW auf die Strasse kommen, und Wasserstoff will ich gar nicht ausschliessen. Aber der wird vielleicht eher stationär genutzt werden als in der Mobilität.» Denn auch dort gebe es diverse Anwendungsbereiche, und grüner Wasserstoff sei und bleibe wohl vorerst teuer und rar.

Timm Kehler rechnet vor, dass in Deutschland aktuell lediglich sechs Prozent der LKW mit Gas unterwegs sind: «Beim vertankten LNG waren es im Juli dafür satte 71 Prozent Bio-LNG!» Bereits heute würden LKW mit CNG- oder LNG-Antrieb und Biogas und Bio-LNG/LBG im Tank einen wertvollen Beitrag zur Emissionsminderung leisten. «Obwohl Bio-LNG und Biogas je nach Zusammensetzung sogar negative THG-Emissionen ermöglichen, verhindern die aktuellen politischen Rahmenbedingungen einen weiteren Markthochlauf», mahnt Kehler. Solle der Schwerlastverkehr seine Klimaziele erreichen und bis 2045 klimaneutral werden, müssten alle technologischen Klimaschutzoptionen genutzt werden.

Gleich 20 neue Iveco mit CNG-Antrieb und Schweizer Biogas im Tank sorgen in der Flotte der Migros Ostschweiz für mehr Nachhaltigkeit. Quelle: CNG-Mobility.ch 

Damit schlägt man in Deutschland in eine Kerbe, die auch in der Schweiz leider noch zu wenig Beachtung findet. Auch hierzulande lässt eine Anpassung bei der LSVA (Leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe), welche die Antriebe technologieoffener beurteilen müsste, trotz Parlamentsentscheid vom 9. März 2021 weiter auf sich warten. Zwar setzen einige Logistik-Experten wie beispielsweise die Migros-Ostschweiz trotzdem auf Biogas-LKW. Andere zögern jedoch bei der Flottenerneuerung, weil zwar LKW mit Elektro- oder Wasserstoffantrieb keine LSVA entrichten müssen, aber gleichzeitig die Ladeinfrastruktur noch fehlt oder die Investition in Wasserstoff- oder E-LKW für kleinere Transportunternehmen kaum zu stemmen ist – eine verpasste Chance zur sofortigen Senkung der CO2-Emissionen durch andere Alternativen. (jas, 23. September 2024)

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