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Mit dem soeben vom Schweizer Parlament verabschiedeten CO2-Gesetz gibt’s positive Signale aus Bern. Wichtiger noch: Dank der neuen Biogas-Grossanlage in Courtemelon JU bekommt die Schweiz auch mehr landwirtschaftliches Biogas.
Bereits seit 2005 produziert die Familie Wyss unweit der Autobahn A1 auf Höhe der Raststätte Grauholz mit ihrer Biogasanlage Strom und Wärme. Die Anlage ist eine von vielen landwirtschaftlichen Biogasanlagen in der Schweiz, aber aktuell speisen erst 42 Biogasanlagen hierzulande das Gas auch ins Netz ein. Erfahren Sie mehr zu den Hintergründen! Quelle: CNG-Mobility.ch
Bislang gab es vom Staat nur Fördermittel für Biogasanlagen, die ihr Gas vor Ort zur Stromproduktion nutzen. Speiste eine Anlage ihr Biogas stattdessen sinnvollerweise direkt ins Netz ein, ging man leer aus; nur der Förderfonds des Verbands der Schweizerischen Gasindustrie unterstützte dies. Aktuell gibt’s 42 Biogasanlagen, die schweizweit ihr Biogas einspeisen; vier weitere sind im Bau. Wird die im neuen CO2-Gesetz vorgesehene Förderung mit einem Volumen von 60 Millionen Franken an Investitionskostenbeiträgen für neue Anlagen im Zeitraum 2025 bis 2030 griffig umgesetzt, könnten es endlich mehr werden.
So lange wollte man im jurassischen Courtemelon nicht warten. Darum haben die Betreiber der Biogasanlage EcoBioVal unabhängig davon Vollgas gegeben: Seit Mitte Januar speist die erste landwirtschaftliche Biogasanlage der Westschweiz nun aus Gülle, Mist und Grünabfällen hergestelltes Biogas ins Netz ein. Diese stoffliche und energetische Verwertung schliesst Nährstoffkreisläufe und reduziert die Methanemissionen aus der Tierhaltung.
Spatenstich für die Biogasanlage in Courtemelon JU mit Michel Tobler (SEOD), Christine Gygax (Bürgermeisterin von Courtételle), Alain Tissot (Regiogaz), David Eray (Präsident der jurassischen Regierung und Umweltminister), Diego Brait (EDJ), Ronan Bourse (Ökostrom Schweiz), Jean-Claude Finger (Gemeinde Courtételle), Hervé Cattin (EcoBioVal) und Vincent Boillat (EcoBioVal) (v.l.n.r.). Quelle: Ökostrom Schweiz
Das erste Biogas-Projekt in Courtemelon startete jedoch bereits 2011. Wieso hat es eigentlich so lange gedauert, bis das Biogaskraftwerk nun den Jura und weitere Regionen mit erneuerbarer Energie versorgt? «Das Projekt war anfangs auf die Stromerzeugung ausgerichtet und wurde von einem Gemeindeverband getragen. Im Jahr 2016 wurde das Projekt dann von drei Landwirten übernommen», erläutert Vincent Boillat, einer der drei Betreiber von EcoBioVal Sàrl. «Nach dem Wegfall des Fördersystems des Bundes, der sogenannten KEV, im Jahr 2019 haben wir uns in Zusammenarbeit mit dem lokalen Netzbetreiber und Ökostrom Schweiz auf die Alternative der Einspeisung von Biomethan konzentriert.» Diese Gaseinspeisung bot sich an, da der Standort der EcoBioVal Sàrl in der Nähe des Erdgasnetzes liegt. «Rund 500 Meter entfernt verläuft eine für die Einspeisung geeignete Niederdruckgasleitung», ergänzt Simon Bolli, Bereichsleiter Biomethan bei Ökostrom Schweiz. «Basierend auf den lokalen Standortbedingungen stellte dies für die Betreibenden die effizienteste Produktionsform dar. Die organischen Reststoffe aus der Region können so mit einem hohen Wirkungsgrad energetisch verwertet werden.»
Die neue Grossanlage EcoBioVal Sàrl verarbeitet nun rund 20’000 Tonnen Biomasse jährlich. Den überwiegenden Teil davon machen Mist und Gülle mit rund 18’000 Tonnen aus. Hinzu kommen Grünabfälle aus umliegenden Gemeinden, welche durch den regionalen Entsorgungsdienstleister SEOD (Syndicat de gestion des déchets de Delémont et environs) gesammelt und ebenfalls der Vergärung sowie Kompostierung in der Anlage zugeführt werden. Daraus werden jährlich rund acht Gigawattstunden oder 800’000 Nm3 Biomethan produziert. Das entspricht zehn Prozent des Gasbedarfs im Kanton Jura. Zusätzlich produziert die Anlage natürlich noch tonnenweise hochwertigen Gärdünger, der herkömmlichen Kunstdünger ersetzt und wieder auf den Felder ausgebracht wird. Auch das hilft, Nährstoffkreisläufe zu schliessen.
Erzeugt mit dem Biogas nicht einfach Strom, sondern speist es cleverer Weise direkt ins Netz ein: die Grossanlage von EcoBioVal im jurassischen Courtemelon. Quelle: EcoBioVal
Auf die grössten Herausforderungen neben dem Bewilligungsverfahren angesprochen, erklärt Vincent Boillat von EcoBioVal Sàrl: «Die Integration der verschiedenen Partner von den Verteilnetzbetreibern bis hin zum Gemeindeverband bei der Finanzierung waren komplex. Und die vertraglichen Aspekte der technischen Einspeisung ins Netz, gegen welche die Stadt Delsberg Einspruch erhoben hatte, stellten ebenfalls Herausforderungen dar.» Hürden, von denen sich Vincent Boillat, Hervé Cattin und Thierry Chételat aber nicht abschrecken liessen: Seit Januar 2024 speisen die drei innovativen Landwirte und stolzen Betreiber nun Schweizer Biogas ins Netz ein. Wie das Ganze funktioniert, kann man sich übrigens am Tag der offenen Tür (Samstag, 23. März 2024, 8 bis 18 Uhr) bei geführten Führungen erläutern lassen. Eine spannende Möglichkeit, mehr zur landwirtschaftliche Biogasproduktion zu erfahren.
Denn die Nachfrage der Energieversorger nach erneuerbaren Gasen aus inländischer Produktion steigt, da sie bezüglich Preisstabilität und Versorgungssicherheit längerfristig bessere Optionen darstellen als die Beschaffung auf dem volatilen europäischen Gasmarkt. Zumal auf jenem die Nachfrage nach erneuerbaren Gasen zu Dekarbonisierung der europäischen Wirtschaft ebenfalls steigt und die Preise von Biogas nach oben treibt. Und die Schweiz steht schliesslich erst am Anfang der Biomasse-Nutzung: Allein das energetische Potenzial der Hofdüngervergärung wird auf bis zu 4,3 Terrawattstunden geschätzt. Zurzeit werden jedoch erst knapp fünf Prozent der in der Schweiz anfallenden Hofdüngermengen genutzt. «Damit das Potenzial besser ausgeschöpft wird, sind mehr Planungs- und Investitionssicherheit für Biogas-Projektanten zentral», erläutert Simon Bolli von Ökostrom Schweiz. «Hierzu ist ein marktorientiertes Fördersystem für stromerzeugende Biogasanlagen wichtig, das Gestehungskosten über die Amortisationsdauer langfristig absichert und Investitionsanreize schafft.»
Der Bereichsleiter Biomethan ergänzt, dass auch eine Vereinfachung im Bereich der Raumplanung beziehungsweise der Bewilligungsverfahren angezeigt sei. Da landwirtschaftliche Biogasanlagen in der Landwirtschaftszone gebaut werden, bestehen viele Vorgaben, die bereits während des Planungsprozesses berücksichtigt werden müssten. «Oft kommt es während des Bewilligungsverfahrens zu Einsprachen, die Biogasprojekte jahrelang bremsen oder ganz verhindern», erläutert Bolli. «Generell beobachten wir eine Zunahme an administrativen Aufwänden beim Betrieb von Biogasanlagen. Auch dies erschwert die Weiterentwicklung und die verbesserte Nutzung des Potenzials.» Für gaseinspeisende Anlagen – wie im Beispiel von EcoBioVal Sàrl – bestehen bis heute ausserdem kaum staatliche Rahmenbedingungen, welche produktionsseitig zu ausreichender Planungs- und Investitionssicherheit führen. Erst das neue CO2-Gesetz stellt hier ja eine Investitionsförderung für Einspeiseanlagen in Aussicht.
Neben Gülle können, wie hier im Beispiel der Biogasanlage der Familie Müller in Thayngen SH, auch biogene Reststoffe für die Biogasproduktion genutzt werden. Quelle: CNG-Mobility
Für Landwirte, die sich trotz aller Hürden und Widrigkeiten wie ihre drei Kollegen aus dem Jura bereits heute mit der Energiezukunft befassen und ihren Beitrag zur Energiewende leisten wollen, ist Ökostrom Schweiz als Fachverband der landwirtschaftlichen Biogasproduzenten die zentrale Anlaufstelle. Der Fachverband berät bei allen Schritten der Projektrealisierung. Zudem bietet Ökostrom Schweiz durch eine zentrale Vermarktung auch Planungs- und Investitionssicherheit, da der Produzent eine langfristige Abnahmegarantie zu Gestehungskosten erhält, während der Abnehmer von einer langfristigen Mengensicherung zu konstanten Beschaffungspreisen profitiert. Somit können Anlagenbetreiber auch ohne Bundes-Förderbeiträge kostendeckend produzieren.
Das durch Hofdünger gewonnene Biogas könnte sogar gleich auf dem Hof wieder genutzt werden, etwa durch einen Traktor mit CNG-Antrieb wie den New Holland T6 Methan Power. Quelle: New Holland
«Biogas ist aufgrund seiner vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten und gemeinwirtschaftlichen Mehrwerte ein wichtiger Bestandteil der Energiestrategie 2050. Jeder investierte Franken in eine landwirtschaftliche Biogasanlage ist ein investierter Franken in den Klimaschutz», ergänzt Simon Bolli. «Die Vergärung von Mist und Gülle ist der effizienteste Weg, um Methanemissionen in der Landwirtschaft zu reduzieren.» Die Aufbereitung von Biogas zu Biomethan-Brennstoff und -Treibstoff ermöglicht einen gezielten Einsatz in Industrieprozessen, in der Wärmeversorgung oder im Verkehrssektor. Das ist vor allem dort wertvoll, wo eine Elektrifizierung nur schwer möglich ist. Und im Strombereich zeichnen sich Biogasanlagen durch ihre konstante, steuerbare und dezentrale Produktion aus. Der Gasspeicher sowie die Lagerung der eingesetzten Substrate ermöglichen eine zeitlich und saisonal flexible Produktion.
Die landwirtschaftliche Biogasanlage EcoBioVal in Courtemelon JU produziert seit Januar 2024 Biomethan und speist dieses ins lokale Netz ein. Quelle: Ökostrom Schweiz
Zurück zum Grossprojekt im Jura. Ist hier eigentlich auch eine Produktion von biogenem CO2, wie es beispielsweise in Bayern von Landwärme schon umgesetzt wird, angedacht? Vincent Boillat von EcoBioVal Sàrl verrät dazu: «Derzeit laufen Gespräche mit lokalen Partnern, die im Bereich Betonrecycling tätig sind. Ein Angebot für eine technische Anlage wurde bereits eingeholt. Das Abscheidungspotenzial liegt bei 800 bis 900 Tonnen CO2 pro Jahr.» Beeindruckend – genau wie die ganze Anlage in Courtemelon. Darum nicht den Tag der offenen Tür am 23. März 2024 verpassen und mehr zur wichtigen Rolle von Biogas bei der Energiewende erfahren – unabhängig davon, ob es am Schluss für Wärme, Strom oder die Mobilität genutzt wird. (jas, 19. März 2024)